Von Politik und Hirnscans

In den letzten Jahren hat die Neurowissenschaft zunehmend Interesse an den Zusammenhängen zwischen Gehirnstrukturen und politischen Überzeugungen gezeigt. Eine aktuelle Studie aus den Niederlanden untersucht, wie die Größe der Amygdala, auch als Mandelkern bekannt, mit der politischen Gesinnung zusammenhängt. Diese Forschung könnte nicht nur unser Verständnis von Politik vertiefen, sondern auch neue Perspektiven auf menschliches Verhalten eröffnen.

 

Was ist die Amygdala?

Die Amygdala ist eine kleine, mandelförmige Struktur, die tief im limbischen System des Gehirns verankert ist. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen, insbesondere Angst. Diese Struktur ist über das autonome Nervensystem mit verschiedenen Stressreaktionen verbunden und könnte somit nicht nur unser Verhalten beeinflussen, sondern auch die Art und Weise, wie wir denken.

 

Was genau wurde gemacht?

Die Studie umfasste insgesamt 928 gesunde Freiwillige (durchschnittliches Alter: 22,86 Jahre, SD = 1,70), die zwischen 2010 und 2012 rekrutiert wurden. Die Stichprobe ist hinsichtlich Bildungsgrad und sozioökonomischem Status repräsentativ für die niederländische Bevölkerung: 10 % hatten einen niedrigen Bildungsgrad, 43 % einen mittleren und 43 % einen hohen Bildungsgrad. In Bezug auf den sozioökonomischen Status waren 16 % sehr niedrig, 26 % moderat niedrig, 28 % durchschnittlich, 19 % moderat hoch und 11 % hoch. Die politischen Präferenzen der Teilnehmer waren ähnlich wie in der normalen Bevölkerung breit gefächert.

 

1. MRT-Scans

Die Forscher führten hochauflösende MRT-Scans durch, um die Gehirnstrukturen der Teilnehmer detailliert zu analysieren. Diese bildgebenden Verfahren ermöglichten es, die anatomischen Unterschiede der Amygdala zwischen verschiedenen Gruppen zu vergleichen. Neben der Größe wurde auch das Volumen und die strukturelle Integrität der Amygdala gemessen. Diese Methodik ist entscheidend, um festzustellen, wie physische Unterschiede im Gehirn mit psychologischen Merkmalen wie Ängstlichkeit und Risikobereitschaft korrelieren.

 

2. Politische Fragebögen

Zusätzlich zu den MRT-Scans wurden die Teilnehmer gebeten, politische Fragebögen auszufüllen, die ihre Ansichten zu sozialen und wirtschaftlichen Themen erfassten. Die Kombination aus bildgebender Analyse und den Umfragedaten ermöglicht es, ein umfassenderes Bild der Zusammenhänge zwischen Gehirnstruktur und politischen Überzeugungen zu gewinnen. Durch den Abgleich der Ergebnisse der MRT-Scans mit den Antworten auf die Fragebögen konnten die Forscher mögliche Korrelationen zwischen der Größe der Amygdala und der politischen Ausrichtung der Teilnehmer aufdecken.

 

Was kam dabei raus?

Die Studie enthüllte mögliche Zusammenhänge zwischen der politischen Einstellung und der Hirnanatomie. Testpersonen, die sich selbst als konservativ wahrnahmen, hatten eine leicht vergrößerte Amygdala, tatsächlich um etwa zehn Kubikmillimeter - die Größe eines Sesamkorns. Dieser kleine, aber signifikante Unterschied deutet darauf hin, dass die Amygdala, die für die Verarbeitung negativer Emotionen verantwortlich ist, Einfluss auf Persönlichkeit und Einstellungen haben könnte. Menschen mit einer größeren Amygdala könnten ein höheres Bedürfnis nach Sicherheit haben, was typischerweise mit konservativen politischen Ansichten in Verbindung gebracht wird.

 

Was bedeutet das?

Die Ergebnisse dieser Studie eröffnen neue Perspektiven in der Forschung zu politischen Einstellungen. Sie zeigen, dass es möglicherweise physiologische Grundlagen für unsere politischen Überzeugungen gibt, was grundsätzliche Fragen über die Natur von Entscheidungen und Überzeugungen aufwirft. Während die Studie Korrelationen aufzeigt, ist es wichtig zu betonen, dass Kausalitäten noch nicht bewiesen sind. Es bleibt also spannend, welche weiteren Erkenntnisse zukünftige Forschungen liefern werden. Die Forscher selbst betonen, dass die Forschung noch in den Kinderschuhen steckt und die Komplexität einer politischen Gesinnung nicht vereinfacht werden darf. Es ist wichtig, nicht nur die Größe bestimmter Gehirnstrukturen zu betrachten, sondern auch zu verstehen, wie gut diese Strukturen miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten. Zukünftige Studien sollten sich daher auf die funktionelle Konnektivität konzentrieren, also darauf, wie die verschiedenen Teile des Gehirns miteinander verbunden sind und wie sie gemeinsam Informationen verarbeiten. So können wir besser verstehen, wie unterschiedliche politische Ansichten im Gehirn entstehen und verarbeitet werden.

 

Und was fangen wir mit diesen Erkenntnissen an?

Die Ergebnisse dieser Studie werfen wichtige Fragen über die Beziehung zwischen unserem Gehirn und unseren Überzeugungen auf. Während die anatomischen Unterschiede zwischen konservativen und progressiven Denkweisen auf interessante neurologische Mechanismen hinweisen, sollten wir vorsichtig sein, diese Erkenntnisse zu simplifizieren. Politische Ansichten sind das Ergebnis komplexer Wechselwirkungen zwischen biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren. Das Risiko, Menschen auf der Grundlage von Hirnanatomie zu kategorisieren, könnte die Vielfalt menschlicher Erfahrungen und Denkweisen verkennen. Zukünftige Forschung sollte daher die Wechselwirkungen zwischen Gehirn, Verhalten und sozialen Kontexten untersuchen, um ein umfassenderes Bild davon zu erhalten, wie unsere politischen Überzeugungen entstehen. Vielleicht können wir so lernen, die Komplexität menschlicher Denkweisen besser zu respektieren, um auf dieser Basis den Dialog zwischen verschiedenen Perspektiven zu fördern.


Quelle:

Petalas DP, Schumacher G, Scholte SH. Is political ideology correlated with brain structure? A preregistered replication. iScience (2024), https://doi.org/10.1016/j.isci.2024.110532