Was wir von Zebrafischen über das menschliche Gedächtnis lernen können

Wie orientieren sich Lebewesen in ihrer Umwelt? Wie funktioniert unser Gedächtnis, wenn wir neue Orte erkunden oder komplexe Netzwerke von Beziehungen aufbauen? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben Forschende am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik eine überraschende Entdeckung gemacht – im winzigen Gehirn der Zebrafischlarve.

 

Zebrafische und das Rätsel der Ortszellen

 Ortszellen, spezielle Nervenzellen, die uns helfen, unsere Umgebung zu "kartieren", waren bislang nur in Säugetieren und Vögeln nachgewiesen. Diese Zellen feuern immer dann, wenn wir uns an einem bestimmten Ort befinden, und spielen eine entscheidende Rolle bei der Erstellung mentaler Landkarten. Ohne diese Landkarten könnten wir uns nicht orientieren. Jetzt hat das Forschungsteam zum ersten Mal auch Ortszellen im Gehirn von Zebrafischen nachgewiesen.

 

Warum ist das besonders?

Zebrafische haben nur etwa 100.000 Nervenzellen in ihrem Gehirn, während wir Menschen etwa 100 Milliarden besitzen. Dieses vergleichsweise kleine Nervensystem ist dennoch in der Lage, erstaunlich komplexe Funktionen wie die räumliche Orientierung auszuführen. Damit bieten Zebrafische für uns ein einfacheres Modell, um die Grundprinzipien solcher komplexen Gehirnfunktionen zu erforschen.

 

Von Fischen lernen: Was bedeutet das für uns?

 Die Erforschung von Zebrafischen liefert wertvolle Einsichten, die weit über die Biologie eines kleinen Fisches hinausgehen. Sie ermöglicht es, die Mechanismen der räumlichen Orientierung und Gedächtnisbildung zu verstehen, die beim Menschen oft schwer zugänglich sind. Die Studie zeigt, dass Zebrafische, ähnlich wie wir, sowohl externe Reize (z.B. visuelle Orientierungspunkte) als auch interne Bewegungsinformationen nutzen, um sich in ihrer Umgebung zu orientieren. Und sie sind erstaunlich flexibel: Wenn sich die Umgebung verändert, passen sich ihre neuronalen Karten an – ein Phänomen, das auch bei Menschen eine Rolle spielt, wenn wir uns in neuen Umgebungen zurechtfinden müssen.

 

 

Die Rolle der Grundlagenforschung

 Warum ist diese Art von Forschung wichtig? Oft ist Grundlagenforschung nicht darauf ausgelegt, sofort praktische Anwendungen zu liefern. Stattdessen geht es darum, die grundlegendsten biologischen Prozesse zu verstehen – und genau hier liegt ihre Stärke. Indem wir mit einfacheren Organismen wie dem Zebrafisch arbeiten, können wir Prinzipien entdecken, die auf komplexere Systeme wie das menschliche Gehirn übertragbar sind.

 Im Fall dieser Studie könnte das Verständnis von Ortszellen irgendwann dabei helfen, Gedächtnisstörungen besser zu verstehen oder sogar neue Ansätze zur Behandlung von Orientierungsproblemen zu entwickeln. Es sind diese scheinbar kleinen, grundlegenden Entdeckungen, die langfristig zu großen Durchbrüchen in der Medizin und Neurowissenschaft führen.

 

 Fazit: Kleine Fische, große Erkenntnisse

 Die Untersuchung der Zebrafische zeigt, dass selbst die grundlegendsten biologischen Prozesse faszinierend komplex sind – und dass wir noch viel darüber zu lernen haben, wie schließlich unser Gehirn funktioniert. Diese Entdeckung ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie Grundlagenforschung die Tür zu neuen Erkenntnissen über unser eigenes Gedächtnis und unsere Wahrnehmung öffnen kann.


Quelle:
Yang C, Mammen L, Kim B, Li M, Robson DN, Li JM. A population code for spatial representation in the zebrafish telencephalon. Nature. 2024 Aug 28. doi: 10.1038/s41586-024-07867-2. Epub ahead of print. PMID: 39198641.